Richard Wagner und seine Neufundländerseele

Kerstin Decker – „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet“

von Johannes Vesper

Richard Wagner 
und seine Neufundländerseele
 
Insgesamt hat Richard Wagner 16 namentlich bekannte Hunde im Laufe seines Lebens gehalten. Tatsächlich kam Richard Wagner mit Hunden besser zurecht als mit seinen Frauen, Geliebten und Seitensprüngen. Vielleicht ist ja überhaupt der unauflösbare Tristanakkord Sinnklang der Beziehungsunmöglichkeit zwischen Mann und Frau. Hunde und Vögel liebte er jedenfalls sein Leben lang, wußte er doch, daß er von ihnen keine Kritik zu erwarten hatte.

Die Pudel „Rüpel“, „Dreck“ und „Speck“ hatte die schöne Minna mit in die Ehe gebracht. Über die drei ist wenig bekannt. Robber hieß Richards erster Neufundländer. Der hatte sich in Riga bei einer Orchesterprobe eines Tages durch den aggressiv schabenden Kontrabassisten bzw. dessen Stock (Bogen) so bedroht gefühlt, daß er ihn vorsorglich angriff. Zusammen mit Minna mußte der junge Kapellmeister hochverschuldet, „aller Barschaft entblößt“, bald aus Riga fliehen und seine „vortreffliche Bestie“ zurücklassen. Nach der heimlichen Abreise schickte der mitleidige Hauswirt den dadurch hoch Depressiven per Post nach. Bis Tauroggen mußte er neben der Kutsche herlaufen und wurde nach illegalem Grenzübertritt zusammen mit gewaltigem Hausstand und Ehefrau auf die heruntergekommene „Thetis“ verladen. Nach dem gewaltigen Orkan im Skagerrak 1839, der den Komponisten zum „Fliegenden Holländer“ anregte, traf die arme Thetis in der Nordsee der zweite Sturm. Richard fesselte sich und Minna nach dem Vorbild des Odysseus mit Bettüchern am Mast fest, um, wenn, dann wenigstens gemeinsam über Bord zu gehen. Robber kämpfte in einer Ecke gegen die Übelkeit und bereute zutiefst, nicht in Riga geblieben zu sein, darf angenommen werden. Bei Unwetter bedingten Orientierungsschwierigkeiten des Kapitäns kam man erstmal nach London, wo Robber sofort, aber nur vorübergehend verloren ging - den englischen Gerüchen konnte er wohl nicht widerstehen. Die Autorin fügt elegant immer wieder Briefstellen von Richard Wagner und seiner Umgebung in ihren Text ein, sodaß Fiktion und Historie ihres Textes gut auseinandergehalten werden können. Richard Wagner hat selbst beschrieben, wie er im Tausch gegen seine Weste eine Mahlzeit für den Hund erhielt. „Mein Hund fraß, und was er übrigließ, verzehrte ich“. Kein Zweifel, Richard Wagners Lage in Paris war prekär. Er verkaufte selbstverfaßte Novellen an seinen Verleger, um seinen Unterhalt zu bestreiten. In denen besang er u.a „Not und Sorge, die Schutzgöttinnen des deutschen Musikers“ ironisch-satirisch, verfasste sozusagen seinen eigenen Nachruf als in Paris verstorbener erfolgloser Komponist. Leider hat Richard Wagner seine schriftstellerische Ader nicht weiter gepflegt, sondern ist ohne den inzwischen entlaufenen Robber nach Dresden abgereist. 
 

Hier ruht und wacht Wagners Russ - Foto © Johannes Vesper

Dort wurde ein kleiner King-Charles Spaniel doch tatsächlich am ersten Tag der Proben für „Rienzi“ geboren und neuer Hausgenosse. Erstaunlich, wie der trotz seines kurzen Schädels an den Reaktionen seines Herrchens dessen Emotionen und Erlebnisse bei den Proben und später den sensationellen Erfolg der sechsstündigen Premiere in Dresden mitbekam. Natürlich hob der kleine „Wachtelhund“ seine plattgedrückte Nase hoch und höher, als er dann trotz Unstimmigkeiten im Stammbaum zum Hund des Königlich-Sächsischen Hofkapellmeisters befördert wurde. Aber schon der Vater des am 2.Febr. 1843 Ernannten mit 1.500,- Talern Jahresgehalt konnte nie eindeutig identifiziert werden. Not und Sorge hatten sich aber erst einmal verdünnisiert. 
Wenige Jahre später wurde in Paris Louis Philippe gestürzt und in Deutschland brach die März-Revolution aus. Bei Wagners hatte wegen Minnas Papagei Papo schon immer revolutionäre Stimmung geherrscht, wenn Papo den Hausherrn ständig begrüßte mit „Richard!  Freiheit! Santo Spirito cavalière“. Wagners Kampf in der Staatsoper für bessere Arbeitsbedingungen des Orchesters verliefen frustran, sodaß er die Gunst der Revolution nutzte, sich mit Gottfried Semper in den Bau von Barrikaden stürzte, die Volksbewaffnung forderte, 100 Handgranaten bestellte, Gewehre für Aufständische organisierte, die Abschaffung des Adels forderte, wenn er nicht mit Peps auf seinem Stuhl (im Rücken, zuvor hatte er immer auf dem Stuhl neben ihm gesessen!) den Lohengrin fertig stellte. Der Einfluß des Kompositionshelfers Peps auf die Partitur wird nicht ganz klar, kann aber wohl kaum überschätzt werden. Irgendwann wurde es der sächsischen Obrigkeit zu viel, sie verhaftete die Revolutionsfreunde Bakunin und Röckel, verurteilten beide zum Tode, während Wagner floh und wegen des Haftbefehls 13 Jahre lang nicht nach Deutschland zurückkehren konnte. Peps starb qualvoll an einem Kleinhirnvorfall. Wagners stets interessantes, oft aufregendes Leben, welches ihn beinahe mit einer jungen, schon verheirateten Pianistin sogar in den Orient verschlagen hätte, wird auf 335 Seiten höchst amüsant, sehr sachkundig biographisch ausgebreitet. Richard liebte aber nicht nur Hunde. Er genoß auch das Chaos der Hühner auf seinem Abendbrottisch beim französischen Weinbauern Homo wie den Rotwein dabei. Wagner kann als einer der ersten gelten, die unwürdige Tiertransporte und Tierversuche heftig kritisierten. Wer wissen will, was Leo, Pohl, Russ und Marke, wichtige Hunde des späten Richard zur Kulturgeschichte beigetragen haben, muß das Buch selbst lesen. Wagner selbst hat nie Hunde auf der Bühne gezeigt, aber 2017 wurden MM, Marke und Molly, bei deren Tod am 14.07.1882 Richard und Cosima gemeinsam in der Gartenlaube geweint haben, tatsächlich auf der Bühne des Festspielhauses in Bayreuth wiederbelebt („Meistersinger“). 
 

Grabstein nahe Villa Wahnfried: Hier ruht Wahnfrieds treuer Wächter und Freund, der gute schöne Marke Foto © Johannes Vesper

Kerstin Decker – „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet“
Überarbeitete Neuausgabe
© 2023 Berenberg Verlag, 335 Seiten, kartoniert, weiterführendes Literaturverzeichnis, zahlreiche nach Kapiteln gegliederte Anmerkungen - ISBN 978-949203-53-4
20,- €
 
Weitere Informationen: www.berenberg-verlag.de